Mein altes Hamburg

Andreas Pfeiffer

22587 Dockenhuden/Elbe 

Der Hamburger Dom

 

Verfasserin Berta Teschlin (1912)

 

Luftballon Verkäufer

Hamburger Wetter. Es tropft und rieselt von den feucht glänzenden Dächern und den schwarzen Ästen der Bäume in Alleen und Anlagen. An den Fensterscheiben fließen feine Wasserstreifen herab, Straßen und Plätze sind mit schlüpfrigem Matsch bedeckt. Die Häuser und Kirchtürme aber tragen wie graue Silhouetten aus dem Nebel. Unter Regenschirmen hasten die Leute durch die Straßen, mit mürrischen, fahl beleuchteten Gesichtern. Draußen in St.Pauli aber auf dem Heiligengeistfeld, erhebt sich seit dem ersten Sonntag des Dezembers eine fliegende Stadt, bunt phantastisch, voll wundersamer Überraschungen und jauchzenden Lebens.  

 

Es ist früher Nachmittag. Allmählich öffnet eine Bude nach der anderen ihre Auslagen. An den breiten Straßen liegen die niedrigen Bretterbauten  mit den langen, schmalen Verkaufstischen. Verlockende Düfte entströmen den rheinischen und hamburger Waffelbäckereien, in denen den ganzen Tag gebacken und gekocht wird. Braunschweiger und Thorner Lebkuchen, Holländer Kluntje und Nürnberger Leckereien sind zu großen Pyramiden aufgestapelt. Neben dem Braunen Honiggebäck aber prangen riesige Herzen mit rotem Zuckerguss undden Aufschriften" Ewig Dein" und " Aus Liebe". Bunt kandierte Zuckerwaren locken in türkische und orientalische Konditoreien. Thüringer Bratwurstglöckl bieten warme Würstchen, die ganz modern in "elektrischen" Betrieben hergerichtet werden. Harzer Fachwerkbauten aus seinen Holzstäbchen, Kirchen, Häuser und zusammensetzspiele wecken die Kauflust. Zu Hunderten treiben sich die Kinder auf dem Dom herum. Kleine fünf -sechsjährige Mädchen mit bloßen Köpfen, deren blonde Haare feucht sind vom Nebeldunst. Buben mit gestrickten Wollkappen, die mit gellendem Pfeifen jeden Aufstieg in der Schiffsschaukel oder jedem Treffer in der Schießbude begleiten. Regen und Nebel stören sie nicht. Ein echtes Hamburger Kind ist daran gewöhnt...  

 

Der originale lange August 3,20m

Gegen Abend hört der Regen auf; nur der Nebel steht noch wie eine Mauer vor den Dingen, er legt sich wie weißlicher Hof um die Hunderttausende elektrischer Flämmchen, die nun an den Schaubuden aufblitzen; er lagert in schimmerden Wolken über dem Dom. Bläulich, grünlich und in silbernen Weiß erstrahlen die Kerzenreihen. Zahllose Lichtwellen fluten durcheinander. Tausenderlei Töne schwirren an mein Ohr. Alle Vergnügungsstätten haben nun Ihre Pforten aufgetan. Nicht dem Handel, wie vorher, sondern dem Vergnügen der Menge dient heute in erster Reihe der altehrwürdige Dom. Hunderte von Zelten und leichten Holzhäusern reihen sich dicht aneinander. Fast jedes hat seine Hauskapelle, seine Drehorgel, oder sein Grammophon. Jedes spielt seine eigene Melodie. Die Töne klirren gleichsam aneinander, zerreißen sich gegenseitig, senken sich wie eine gewaltige Tonflut auf die niedrigen Holzdecken der Gebäude herab, so dass es scheint, als wollten die einstürzen.

"und das haben die Mädchen so gerne""wo steht denn das geschrieben"  und das bekannte Hamburger Couplet "Snuten un Poten" wechseln sich mit den anderen Operettenweisen der vergangenen Jahre. Bellend klingen die Stimmen der Ausrufer durch den Lärm. Manche sind grell geschminkt und tragen groteske Trachten. Andere sind mit hohen Zylinderhüten und papiernen Ordenssternen geschmückt. Sie laden das Puplikum mit kecker und stolzer gebärde ein, für 5- 10 Pfennig den eintritt in die von Ihnen Bewachten Holzhallen zu erkaufen. Vielerelei Verlockungen gibt es da. 

Allein schon die Karusselle, durch den elektrischen Betrieb zu noch nicht dagewesener Vollkommenheit ausgestaltet. Außer den uralten Schaukelpferden stehen, Flugzeuge, Blumengeschmückte Fahrzeuge mit elektrischen Flämmchen gezierte Autos, Berg- und Tunnelbahnen und eine "schwankende Krinoline" die sich rastlos im Kreis dreht.  

Afrikanische "Völkerschau": Suaheli

Schießstände und Ringelwerfen, Lotterien und „tolle“ oder „unkluge“ Küchen bieten verlockende Preise. In letzteren sitzen zwei Wachspuppen, Koch und Köchin, mit starren Gesichtern an Küchentischen. Hinter ihnen sind auf Wandbrettern die Porzellanteller aufgestellt, die man mit Holzkugeln zu Trümmern wirft. Scherbenberge bedecken den Boden. „Hier is de lustige Köksch, wo man allens entwie smieten kann“ oder „Hein! Bie de lustige Köksch kannst dien Wut utlaten!“ lauten die Aufschriften. Bei manchem Schießstand gibt es nur lebende Preise: Schweine, Gänse, Tauben, die in engen Käfigen ihres Schicksals harren. Besonderer Gunst jedoch erfreuen sich die „Aalverlosungshallen“, in denen die Spickaale, das Lieblingsgericht der Hamburger, in dunkel gänzenden Reihen ausliegen.  Weder fehlen die Berg- und Talbahnen, auf denen man von hohen Turm in wilder Zickzacklinie zu Tal saust, noch die Riesen und Zwerge, weder ein Miniaturzirkus, noch Panoramen und Schauertheater, weder der Schaubilderlänger, noch die kleinsten Pferde der Welt.  Hagenbeck hat sogar die „größte Schlange der Welt“ auf den Dom entsandt, eine mächtige Boa Constrictor, die in einer Holzkiste hinter purpurnen Vorhang haust; kreischende Papageien sind ihre Herolde. Den größten Heiterkeitserfolg des heurigen Doms tragen jedoch die amerikanischen „lustigen Fässer“ davon. Das sind zwei mit Teppichen ausgeschlagene in entgegengesetzter Richtung kreisende Riesentonnen, durch die man hindurchgehen muß, ohne zu fallen. Zaghaft betritt der Neuling den schwankenden Boden, der ihm in jedem Augenblick unter den Füßen fort gleitet. Nur zu bald hat er das Gleichgewicht verloren, fällt hin, überkugelt sich, schlägt unfreiwillige Purzelbäume, bemüht sich krampfhaft, wieder aufzustehen, keucht und stöhnt und wird wie ein Ball hin und her geworfen.  Oft fallen mehrere Personen übereinander und ihre Arme und Beine verschlingen sich in wildem Wirrwarr.  Erst der Stillstand der Tonnen bringt Rettung. Hunderte von Zuschauern aber stehen dabei und wissen sich vor Lachen kaum zu lassen. Denn es gibt nichts komischeres als die unfreiwilligen Gliederverrenkungen der Tonnenwanderer.  Jung – Hamburg aber – Schüler mit bunten Mützen und kleine Mädel mit blonden Zöpfen und blauen Augen – widmet sich mit Leidenschaft diesem Sport. Zeitweilig sind die Tonnen nur von Kindern bevölkert. Stundenlang sieht man sie unverdrossen in dem rollenden Gehäuse dahinschreiten. Wahre Meistertreter gibt es schon unter ihnen. Fast ebenso beliebt sind die „Teufelsräder“, jene rotierende Drehscheiben, von denen man so wundersamen Schwung hinabgleiten 

"Sonderschau: Afrikaner Dorf", Damals normal - heute undenkbar

 

kann. Abwechselnd dürfen Knaben und Mädchen sich daraufsetzen.  Scharen rotbäckiger Jungferchen und übermütig dreinschauender Buben stehen und warten auf den Augenblick, wo sie an der Reihe kommen. Sie sind unermüdlich im Fallen und Wiederauferstehen und locken durch ihre Begeisterung sogar die Erwachsenen auf die schwankende Drehscheibe. In Jung – Hamburg steckt viel Kraft und Lebenslust! Nebenan aber kreist der Tanzboden, auf dem die Paare unsanft auseinandergerissen und gegen die Balustrade geschleudert werden. Auch hier herrscht ungeheure Heiterkeit.  Und weiterhin winken nach und andere Balllokale und Schaubühnen…

Geheimnisvoll aber ragen aus dem bunten Chaos düstere Spukschlösser und verzauberte Mühlen auf. In ihnen walten böse Kobolde ebenso wie in den Juxhäusern. Da gibt es dunkle Gänge, in denen der Fuß auf wankender Stufe plötzlich ins Bodenlose zu treten scheint, Labyrinthe ohne Ausgang, gleitende Fußboden, kreisende Sessel, zusammenstürzende Bänke und Treppen mit rollenden Stufen, auf denen man überraschend schnell südwärts befördert wird. Ohne das übliche Aufschreien und Johlen geht es auch dabei nicht ab. Neuerdings hat man sich bestrebt, dem Dom ein künstlerisches Gepräge zu verleihen und die Bauten mit allem Komfort der modernen Technik auszustatten. So ist eine Sonderschau errichtet, in der ein Dom im kleinem geboten wird.

 

Typische Schaubude auf dem Dom

Ein schweres Tor mit dunkelgrünen Holzpfeilern führt hinein. Um einen länglichen Platz mit gerillten Bretterboden aber gruppiert sich eine Anzahl von Musterbauten: ein Liliputanerzirkus, ein Juxhaus, ein Tanzrad, ein Karussell und ein Panorama.  Im Schein der hohen Bogenlampen bieten dieser Platz ein Bild von vollendeter künstlerischer Schönheit. Er zeigt uns, wie uralte Sitten, mit modernen Leben erfüllt, zu Trägern neuer Ideen umgewandelt werden können. Auf dem Platz aber schiebt sich eine vieltausendköpfige Menge durcheinander. Je weiter der Abend vorschreitet umso mehr wächst sie an. Neben dem Neuen behauptet sich siegreich das Alte und gibt ihm Recht Character und Farbe. Hunderte von fliegenden Händlern und Händlerinnen stehen mit „Bauchkästen“ an den Straßenrändern. Leuchtend bunten Flitterkram bieten Sie feil.  Krausen mit flatternden Enden aus grünen und roten Seidenpapier. Bunte Herzen und Kreise an langen Holzstäben mit der Inschrift: „Gruß vom Hamburger Dom“, schwarze Papierröhren, die „Domzylinder“, die auf jeden Hut gesetzt werden können,  Konfetti und Holzknarren, mit denen man dem Vorübergehenden über Arm und Rücken fährt, was meist eine lustige Erwiderung zur Folge hat.  Ganz Hamburg beteiligt sich am Dom. Eheleute mit verwittertem Gesicht und plumpen Fäusten. Frauen aus dem Volk mit Kindern auf dem Arm. Bürgerfamilien in Reih und Glied. Zahllose Schüler mit bunten Mützen und halbwüchsige Burschen von der Straße, Liebespaare aller Kategorien. Aber auch der Hamburger Patrizier, der sich sonst so streng abzuschließen pflegt. Meist tun sich mehrere Familien zum „Dombummel“ zusammen. In großer Gesellschaft werden dann alle Volksbelustigungen durchgekostet. Zum Schluß aber geht es in die Restaurants und Cafés von St.Pauli. Zur Zeit des Doms sind sie Sammelplatz aller Kreise. Die Rangunterschiede verwischen sich im allgemeinen Festgetriebe. Unausrottbar liegt in der menschlichen Natur das Bedürfnis nach Freude, nach Schönheit, mag das letztere auch nur von den Klängen einer Drehorgel ausgehen. Selbst unter den dichten Nebeln des Nordens erwachte zuweilen mit unwiderstehlicher Kraft. Einen Beweis für die Lebensenergie der Menschennatur bietet auch der jährlich auflodernde Festjubel des Hamburger Doms.

 

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