Mein altes Hamburg

Andreas Pfeiffer

22587 Dockenhuden/Elbe 

Christina Sophie Luise Reimarus

*1742 Pinneberg              †1817 Hamburg

 

 

Christina Sophie Luise Reimarus, Gemälde von Friedrich Carl Gröger, 1818, Hamburger Kunsthalle

Der Arzt Johann Albert Heinrich Reimarus, dessen erste Frau 1762 gestorben war, heiratete 1770 die 1742 in Pinneberg geborene Christina Sophie Luise Hennings, die er als seine Patientin kennengelernt hatte. Die mehr als vierzig Jahre währende Ehe wurde glücklich, das Haus Reimarus in der Fuhlentwiete eines der Zentren Hamburger Geisteslebens. Dies war das Verdienst der „Doktorin“, wie Frau Reimarus allgemein genannt wurde. „Hier kommt und geht, wer will, und denkt auch, was er will, und sagt es ziemlich dreist, und niemand kümmert sich darum“, charakterisierte sie ihren geselligen Zirkel. Der Altonaer Publizist Piter Poel, ein enger Freund des Hauses, schrieb:

„Der Teetisch vereinigte die Gatten frühmorgens, dann im Laufe des Vormittags, wenn der Mann sich ein halbes Stündchen von seinen Patienten abmüßigen konnte, und nach dem Abendessen, selbst wenn sie erst spät aus einer Abendgesellschaft nach Hause gekommen waren. Dann hatte sie immer Journale in Bereitschaft mit den angemerkten Stellen, die ihn der Mühe überhoben, das Ganze durchzulesen, oder sie trug mündlich ihm vor, was ihn auf andre Weise erfreuen konnte. Gegen Abend stand das freundliche Wohnzimmer den Besuchenden offen, und wenige Tage in der Woche vergingen, wo nicht ihr in so manchen gedruckten Briefen und Reisebeschreibungen gepriesener Teetisch der Sammelplatz fremder und einheimischer Gelehrter und wißbegieriger junger Leute wurde. Der Mann, welcher um diese Tageszeit kaum andere Besuche als bei gefährlichen (= gefährlich erkrankten) Patienten machte, arbeitete dann in seinem anstoßenden kleinen Bibliothekszimmer, dessen Türen offenstanden, so daß er an der Unterhaltung teilnehmen konnte. Der Ort dieser anspruchslosen, aus wechselnden Gästen zusammengesetzten Vereinigung ist in Deutschland berühmter geworden als manche Akademie.“

In dieser „Akademie“ verkehrten Gelehrte und Schriftsteller wie Jens Immanuel Baggesen, Johann Bernhard Basedow, Joachim Heinrich Campe, Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Friedrich Heinrich Jacobi, Johann Caspar Lavater, Johann Friedrich Reichardt, Karl Leonhard Reinhold und natürlich die mit den Reimarus eng befreundeten, musisch aufgeschlossenen Kaufleute Georg Heinrich Sieveking und Caspar Voght. Die Familien Reimarus, Sieveking und Voght begeisterten sich schon früh für die Ideen der Französischen Revolution, die in ihren Kreisen viel diskutiert wurden, und die Reichsgräfin Elisa von der Recke (1754-1833), die den Winter 1793/94 in Hamburg verbrachte und mit den Genannten verkehrte, klagte in ihrem Tagebuch über die - wie sie meinte - Einseitigkeit des politischen Urteils im Hause Reimarus: „ . . .wie ich in dem Reimarusschen Hause oft schweigen muß, wenn ich in einem Kreise sehr verständiger Menschen nichts als über Fürsten und Adel spotten höre. Die aristokratischen Einfaltspinsel sind wegen der Leere ihres Kopfes entschuldigt, wenn sie in jetziger Zeit bis zum Ekel über diese Materie ihre irrigen Ideen durchkäuen. Wenn aber verständige Menschen immer nur eine Idee zum herrschenden Gespräch machen, in ihrem Kreis über Fürsten und Adel schimpfen, ohne Fürsten und Adel um sich zu haben, auf die sie wirken, die sie zurechtweisen können - dann heiße ich solche Gespräche führen leeres Stroh dreschen; und diese fruchtlosen demokratischen Gespräche sind mir fast so zuwider als der aristokratische Unsinn.“ Nach dieser Eintragung vom 1. Mai 1794 schrieb sie am 7. Mai: „Bei Doktors (= Reimarus) fühle ich mich schon seit langem im gesellschaftlichen Kreise gedrückt: Die beständigen Gespräche über Aristokratie und Demokratie sind mehr als ermüdend, und mit wahrem Despotismus will man hier die Meinungen anderer beherrschen."

Johann Albert Heinrich Reimarus starb 1814, seine Frau folgte ihm drei Jahre später, 1817, in Hamburg. Grögers Portrait entstand erst nach ihrem Tode. Er hat die „Doktorin“ im grünen Hausrock und mit weißer Spitzenhaube gemalt. In den Händen hält sie einen Brief und eine rote Ledertasche; Schreibzeug und Briefe liegen rechts auf dem grünbezogenen Tisch: Christine Sophie Luise Reimarus gehörte zu den großen Briefschreiberinnen ihrer Epoche.

 

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