von Oskar Klaußmann
Der Brasildampfer liegt an einem der großen Kais des Hamburger Hafens, um seine Ladung zu löschen. Die Kranketten klirren, die hebewerkzeuge des Dampfers ächzen und stöhnen, der Dampf pufft und faucht aus den Ausblaserohren der Kranmaschinerie, und dumpf rollen die eisernen Stoßkarren über den Bretterbelag des Kais bis in die Schuppen hinein. Ungefähr 33.000 Ballen Kaffee à 120 Pfund hat neben anderer Ladung der Brasildampfer mitgebracht; aber auch ein zweiter und dritter Dampfer, die an dem Kai liegen, lade gleichzeitig Kaffee aus. Ununterbrochen, Tag und Nacht, arbeiten Menschen und Maschinen, um die Ladung zu löschen, denn Zeit ist Geld. Dem Laien der zum ersten Mal diese nicht enden wollende Menge von Kaffeesäcken sieht, wird es ganz bange, wenn er daran denkt, wer denn diese Riesenmenge von Kaffee verbrauchen soll. Aber die Ladung, die die drei Dampfer mit sich bringen, ist eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem vorrätigen Kaffee in Hamburg, der augenblicklich 1.780.00 Ballen beträgt. Hamburg ist eben der größte Kaffeemarkt der Alten Welt, und die anderen großen Orte, die mit Kaffee handeln, wie Le Havre, London, Amsterdam, kommen Hamburg gegenüber im Vertrieb nicht gleich. Neu- York und Le Havre sind die hauptsächlichsten Spekulationsmärkte für Kaffee, und in Neu- York allein mögen zur Zeit ungefähr zweieinhalb Millionen Ballen Kaffee lagern. Der Kaffee besitzt eine große Empfindlichkeit gegen fremde Gerüche; Pfeffer, Ingwer, Stockfisch, Heringe, Rum, selbst Zucker dürfen nicht neben Kaffee im gleichen Dampfer verladen werden, da sonst die Bohne den Geruch der anderen Waren annimmt. Es kommen deshalb von Brasilien auch ganze Steamer voll Kaffee, Schiffe, die überhaupt nicht anderes laden. Brasilien ist eben das Hauptland der Kaffeeproduktion und die Ausfuhrhäfen Santos und Rio de Janeiro sind als die Welthäfen für Kaffee zu betrachten. Wohl liefert auch Niederländisch-Indien, insbesondere Java und Sumatra Kaffee, auch englisch-indischer, spanisch- indischer Kaffee kommen auf den Markt. Aber das Hauptquantum liefert doch Südamerika, Zentralamerika und die westindischen Inseln. Mexiko macht in den letzten Jahren außerordentliche erfolgreiche Versuche, Kaffee zu produzieren, und wahrscheinlich wird durch Mexiko den Produktionsländern eine große Konkurrenz entstehen. Fast gar nicht mehr im Handel erscheint der arabische Kaffee, und echter Mokka kommt in so geringen Quantitäten nach Hamburg auf den Markt, daß diese Ware fast als Kuriosität betrachtet wird. Der Orient verlangt aber Mokka, und daher gehen der echten Mokkabohne ähnliche Kaffees anderer Sorten in tausenden von Säcken von Hamburg nach der Levante.
Auch Afrika liefert jetzt sehr schönen Kaffee, und die deutschen Kolonien in Afrika verbessern die Qualität ihres Erzeugnisses von Jahr zu Jahr. Aus den Lagerschuppen am Kai wandern die tausende von Kaffeesäcken entweder auf Wagen, die sie nach den Speichern fahren, oder in die Schuten, in die flachen, breit ausladenden Leichterfahrzeuge, die auf den Wasserstraßen Hamburgs, von Schleppdampfern gezogen, in fast ununterbrochener folge zu sehen sind. Zwischen zwei Abteilungen des riesigen Hamburger Hafens, Binnenhafen und Sandtorhafen, erstreckt sich eine von Kanälen durchzogene Halbinsel, die mit vielfachen Reihen von uniform gebauten Riesenspeichern besetzt ist. Der Sandtorkai, besetzt vom himmelhohen Speichergebäuden, ist der Platz, auf dem sich das Hamburger Kaffee- Engrosgeschäft, das ganz Europa und ein Teil von Asien versorgt, abspielt. In den Erdgeschossen der Speichergebäude liegen die Kontore der 150 „am Kaffeehandel beteiligten Firmen“. In Nummer 14 befindet sich der Börsensaal; in dem sich der Engroshandel vollzieht. In Wagen und auf Schuten werden die Kaffeesäcke an die Speicher herangebracht, und die Aufzüge befördern die Säcke mit großer Geschwindigkeit bis zu den höchsten Stockwerken empor. In den Speicherräumen lagern gewöhnlich mehr als eineinhalb Millionen Santos, 100.00 Ballen Rio, 30.000 Ballen Bahia, 60.000 Ballen Guatemala, 10.000 Ballen Lagnaira und vielleicht 12.000 Ballen Salvador- und Nicaraguakaffee. Maracaibo/Venezuela und Sabanilla/Costa Rica, Ostindien, Westafrika, Puerto Rico, Santa Domingo, und andere Produktionsländer stellen nur kleinere Vorratsmengen von 2.000 bis 5.000 Sack. Ununterbrochen sind der Zu- und Abfluß des Kaffees statt, und die 210.000.000 Pfund, die augenblicklich in den Speichern lagern, werden sehr bald abnehmen. Man hat sich nämlich über das Resultat der Ernte 1903/04 in Brasilien einigermaßen getäuscht. Die Ernte ist geringerer Quantität ausgefallen, als man dachte, und selbst die Produzenten, die große Abschlüsse nach Amerika und nach Europa gemacht haben, sind gezwungen, aus den Lagerhäusern ihren eigenen Kaffee zurückzukaufen.
Aber auch die Ernte 1904/05 soll geringe Hoffnungen geben da Dürre und Frost wahrscheinlich das Resultat jetzt schon ungünstig beeinflußt haben. Wahrscheinlich würde der Preis für Kaffee, der jahrelang niedrig gewesen ist, jetzt noch weiter in die Höhe gehen, zumal auch die New Yorker Kaffeebörse einem künstlichen Hinauftreiben der Preise geneigt ist, wenn eben nicht der Hamburger Engroshandel wenigstens für Europa und speziell für Deutschland regulierend wirkte, so das der Preis wohl augenblicklich anziehen, aber doch gewiss nicht zu erorbitanter Höhe gelangen wird. Kurz vor zehn Uhr vormittags belebt sich der Sandtorkai, denn die Börsenstunde naht. Makler und ihre Angestellten mit großen Schwarzbraunen Düten, dir Kaffeeproben enthalten, eilen ebenso wie die Chefs und die Angestellten der großen Kaffeefirmen nach dem Kontorhaus Nummer 14, wo sich die Räumlichkeiten des Vereins der am Kaffeehandel beteiligten Firmen und der Börsensaal befinden. Unter der liebenswürdigen Führung des Herrn Michaelles, Präses der Hamburger Handelskammer, betreten wir den ziemlich großen Börsensaal, in dessen Mitte durch Geländer ein Viereck abgegrenzt ist, innerhalb dessen die Makler stehen. Rings um den Saal herum befinden sich die Bureaus der Makler. Um die Geländerbarre drängen sich die Käufer und Verkäufer, und daß wir uns in einer Hausseperiode befinden, beweisen die lauten Stimmen und die Aufregung, die zweitweise ausbricht. Der Terminhandel für Kaffee schließt für einzelne Monate ab. Es werden also jeden Tag Partien von je 500 Sack = 29250 Kilogramm netto oder das Vielfache eines solchen Loses für jeden Monat des Jahres zum Verkauf angeboten. Die Hauptmonate, für die gekauft wird, sind Mai und September. Dazu treten noch als zweitwichtige Monate der März und Dezember. Für diese vier Monate wird augenblicklich am meisten gekauft, und das harmlose Mütterchen, das im Binnenland “auf die Postille gebückt zur Seite des wärmenden Ofens” ihr Schälchen Kaffee in Ruhe und Behaglichkeit schlürft, hat keine Ahnung, wie sehr sich der Engroshändler soeben aufregt, der mit gellender Stimme ununterbrochen schreit: “Eins franko Geld ! Eins Geld!” Das bedeutet: er bietet für September 41 Pfennig für das Pfund, und zwar will er möglichst die Courtage, das heißt Maklergebühr, sparen. Wenn der Dezembertermin herankommt, steigt sogar der Preis auf 41¼, und zwar schiebt sich der Preis von Viertelpfennigen allmählich zu dieser Höhe hinauf. Die im Börsensaal angeschlagenen neuesten Depeschen aus New York, Le Havre, Amsterdam verkünden auch dort steigende Tendenz des Preises; daher die Allgemeine Aufregung an der Hamburger Kaffeebörse. Um halb eins wird diese Spezialbörse geschlossen. An der großen Börse in Hamburg, an der das gesamte geschäftliche Leben Hamburgs zusammenströmt, wird noch einmal zur Mittagszeit auf Kaffee effektiv und auf Termin gehandelt, aber die Hauptsache ist doch diese Vormittagsbörse im Haus Nummer 14 am Sandtorkai., denn hier findet das größte Geschäft des Tages statt, an der großen Börse ist der Umsatz meist geringer. Es gibt beim Kaffee natürlich verschiedene Qualitäten, und jede einzelne Marke, ob sie nun Santos oder Guatemala oder irgendeine andere sein mag, hat eine ganze Anzahl von Abstufungen in der Qualität. An der Börse wird aber der Vereinfachung halber nur eine Sorte gehandelt, deren “Typ” in dem Regulativ der Börse, wie folgt, festgesetzt ist: Win good average Santos Los muß gleichwertig sein: 2/6 Superior, 2/6 good, 1/6 regular”. Good Average heißt “guter Durchschnitt”, und diese Durchschnittssorte Kaffee muss zusammengesetzt sein aus 2/6 allererster Qualität, 3/6 Mittelqualität und 1/6 geringerer Qualität. Das Regulativ sagt weiter:” Verschiebungen sind statthaft, jedoch darf ein Los niemals weniger als 1/6 Superior und niemals mehr als 2/6 regular enthalten.” Die Börse stellt also für eine Durchschnittssorte einen bestimmten Preis fest, der nun die Grundlage für die Berechnung der Preise anderer Qualitäten bildet. Will der Engroshändler Kaffee haben, der nur aus Superior Qualität besteht, so muß er natürlich einen höheren Preis zahlen, und wünscht er eine Qualität, die nur regular oder good enthält, so würde sich der Preis verhältnismäßig verringern.
Begeben wir uns jetzt nach den Bureaus eines großen Kaffeegeschäfts, und betreten wir vor allem das große Probenzimmer. Unser Bild zeigt uns einen Engroshändler mit einem Makler am Probentisch beschäftigt, einige Kaffeeproben zu prüfen. Die großen Fenster lassen volles Licht herein, gewöhnlich aber sind noch Blenden und Dämpfungen an den Fenstern angebracht um ein möglichst gleichmässiges, unbeeinflußtes Licht zu erzielen. Wenn man erst verschiedene Sorten Kaffee nebeneinandersieht, erstaunt man über die vielfachen Farbennuancen, die die rohe Kaffeebohne aufweist. Da ist afrikanischer Kaffee von fast safrangelber Farbe und daneben bester gewachsener Santos, der ein eigentümliches Dunkelgrün zeigt (der Fachmann bezeichnet indes die Farbe mit blau). Grau, braungrün, gelbbraun, schwarz, blaßgrün, feinblau, hochgelb lauten die verschiedenen Farbenbezeichnungen im Kaffeehandel. Nur das Auge und die Nase können den rohen Kaffee prüfen, und es gehört natürlich große Gewandtheit dazu, um jede Sorte sofort richtig zu bewerten. Schon das Auge sieht den Unterschied in den Qualitäten. Wie gleichmäßig sieht die gute Nummer Santos aus, wie verschiedenfarbig, bis zum schwarz abschattiert, ist die geringste Qualität, die uns aus einer Schublade des großen Probenschranks vorgelegt wird. Der Geruch kommt dem Auge zu Hilfe, so das man bei der Prüfung auch feststellen kann, ob die Ware etwa Seebeschädigt ist oder dumpfig geworden ist. Ob der Kaffee gewaschen worden ist, das sieht man am “Schnitt”- An der Unterseite der Bohne befindet sich eine Einkerbung, Schnitt genannt, in der ein zartes Faserhäutchen sitzt. Dies ist bei ungewaschenem Kaffee weißlich. Der Santoskaffee wird neuerdings vielfach gewaschen. Die Kaffeebohne wächst bekanntlich in einer Hülse die von Fruchtfleisch umgeben ist. Mit Maschinen wird das Fruchtfleisch abgequetscht, dann läßt man den Samen im Wasser aufquellen, um die Samenschalen leichter abzuquetschen. Mit Hilfe von Maschinen und Trockenapperaten wird darauf der Kaffee luftrocken gemacht. Und zur Versendung in Säcke gefüllt. Die Kaffeebohnen haben auch verschiedene Form. Von der kleinsten Sorte, dem sogenannten Perlkaffee, an bis zu den großen, fast kreisrunden Bohnen gibt es eine Menge Abstufungen, die sich auf Wölbungen der Bohne beziehen. Es ist merkwürdig, das in verschiedenen Gegenden Deutschlands sowohl die Grossisten wie die Detaillisten, dann aber auch das Publikum eine Klassifikation des Werts vom Kaffee nach Form der Bohne vornimmt, eine Wertbestimmung, die eigentlich gänzlich unberechtigt ist. In Berlin, in Breslau, in Thüringen, im Königreich Sachsen, bevorzugt man gänzlich ganz verschiedene Formate von Kaffeebohnen.
An dem einen Ort will man ovale, an dem andern rundliche Bohnen, hier flach- dort hochgewölbte, hier kleine, dort große. Wir sehen im Probenzimmer der Engroshändler eine Menge von runden Büchsen aufgestellt. Sie enthalten überseeische Kaffeeproben. Das Kaffee= Engrosgeschäft vollzieht sich in der Weise, daß die großen überseeischen Firmen, besonders Rio und Santos, in Hamburg Agenten unterhalten, die den Engroshändlern auf Grund der in ganzen Kistenladungen aus Brasilien eintreffenden Büchsen mit Offerten machen. Die Proben dagegen, die den angekommenen Säcken entnommen werden, füllt man in Düten, die ungefähr drei Pfund Gewicht enthalten. Wir sehen auf unserem Bild “Makler bei der Kaffeeprüfung”, wie sie eine solche Düte auf einem untergehaltenen Papier ihres Probeinhaltes entledigen. Die Hamburger Engroshändler unterhalten ihrerseits wieder Agenten im Binnenland an den Hauptplätzen, die wie Berlin, Breslau, Köln, Magdeburg Leipzig usw. Hauptstapelplätze für Kolonialwaren sind. Damit auch die Leserinnen von diesem Kaffeeartikel einen praktischen Vorteil haben, sei bemerkt, daß das Wasser, mit dem der Kaffee aufgebrüht wird, eine Rolle spielt. Hat das Wasser längere Zeit gekocht, so ist es zur Kaffeebereitung nicht mehr verwendbar; brüht man den Kaffee damit auf, so wird auch die beste Qualität nur eine schauderhafte Brühe geben. Durch das Hin- und Hertragen der Proben, insbesondere in den Düten, wird der Kaffee verstreut, sowohl in den _Kontoren und Probestuben, als draußen auf der Straße. Aber auch dieser Abfall findet Liebhaber und Verwender unser letztes Bild zeigt uns eine arme Frau, die auf dem Bürgersteig vor dem Speicher die verstreuten Bohnen aufsammelt. In der heutigen Zeit der Abstinenz, in der man den Alkohol mit großem Eifer verfolgt, will man ja auch den anderen drei Sorgenbrechern: Kaffee, Tee und Schokolade an den Leib, aber den Kaffee wird sich die Menschheit so leicht nicht nehmen lassen. Was wären wir in Deutschland ohne Kaffee! Steh’n wir doch in dem Ruf, jene Nation zu sein, die den meisten Kaffee braucht, aber auch am schlechtesten kocht.