Ein Spaziergang durch den Cuxhavener Fischmarkt
Das Illustrierte Blatt, Nr. 46, 1927, Fotos von R. Sennecke, Nachcoloriert von A. Pfeiffer 2020
Ein eindrucksvolles Bild zeigt sich dem Besucher des Fischmarkts von Cuxhaven, wenn morgens in den langgestreckten Fischhallen unübersehbare Reihen von Kisten mit Fischen gefüllt der Versteigerung harren. Von hoher Kanzel herab beginnt mit dem Glockenschlag 7 Uhr das „Rat tat tat tat bum“ der Auktionatoren.
Mit zwei Protokollführern besteigt der Auktionator die Kanzel, einen erhöhten, fahrbaren Verkaufsstand, von dem aus die meist auf den Kisten stehenden Käufer zu übersehen sind. Die Fänge werden in der Reihenfolge des Einlaufens der Fahrzeuge verkauft. Zwei Auktionatoren verkaufen gleichzeitig eine Dampferladung, indem sie an den äußersten Posten anfangen. Die Ware wird folgendermaßen angeboten: 6o Kisten Schellfisch I, 1 oder 20, wieviel dafür? Der Zwischensatz 1 oder 20 bedeutet, daß der Käufer, sobald er den Zuschlag erhält, mindestens eine oder höchstens zwanzig Kisten kaufen kann. Diese Begrenzung nach oben wird entsprechend der vorhandenen Kistenzahl festgesetzt, damit ein einzelner Käufer nicht mit einem Zuschlag die ganze Sorte wegschnappen kann.
Einer der Käufer ruft nun seinen Preis, z. B. 30 Pfg. für das Pfund, und nun beginnt der Auktionator ein wie ratterndes Kleingewehrfeuer klingendes, lautes und schnelles Zählen:
31, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, dann 40¼, 40½, 4o¾, 41 Pfg. usw. Die bietenden Käufer zeigen durch Erheben einer Hand, eines Fingers, durch Kopfnicken oder Zu- rufe, manche nur, indem sie den Auktionator scharf ansehen oder mit den Augen blinzeln, daß sie den Preis halten. Nach und nach fallen die Käufer ab, bis der zuletzt Bietende mit vielleicht 45¾ Pfg. das Pfund den Zuschlag erhält. Gleichzeitig beginnen die Protokollführer damit, den Kauf zu registrieren, und ein Aufleger legt aus einem langen Kasten, den er in der Hand trägt und der Blocks mit Namenzetteln aller Käufer enthält, die Namenzettel des betreffenden Käufers- auf die Kistenzahl, die dieser dem Auktionator zugerufen hat. Während der Zeit größter Fänge sind Tage mit Zufuhren von einer Million Pfund Seefischen keine Seltenheit mehr.
Dem Fremden will es fast unfaßlich erscheinen, daß die ungeheuren`Mengen noch am gleichen Tage den Verbraucherplätzen mit Spezialfischzügen zugeführt werden. Die Namen vieler Fischarten, wie Knurrhahn, Kattfisch, Seeteufel, Langfisch, Lumb und viele mehr schwirren ihm im Kopfe herum, und die Prachtexemplare der Raubritter-Haifische hinterlassen einen begreiflichen Eindruck. In regelmäßigen Abständen werden von der Fischmarkt Cuxhaven G.m.b.H. auch Führungen veranstaltet, bei denen außer den Versteigerungen die Herstellung von Marinaden und Räucherwaren, der Fischversand, Eisfabrikation, Netzstrickerei und weiteres mehr gezeigt werden. Eine kleine Stadt von Industriebetrieben hat sich um den Fischereihafen herum angesiedelt. Hier fabriziert man den Cuxhavener Bückling, dem Binnenländer als Kieler Bückling bekannt, die delikaten Bratheringe, Bismarckheringe, Rollmöpse und die verschiedensten Leckerbissen in Mayonnaise, Tomaten, Wein und dergleichen Feinheiten mehr. Ein Gebiet unendlicher Emsigkeit und Schaffenskraft erschließt sich dem Besucher, das auf Grund seiner Leistungen viel mehr Würdigung genießen müßte, als es bisher in Deutschland der Fall ist.
Im Jahre 1925 betrug die Menge der am Cuxhavener Fischmarkt gelandeten Fänge 862.13 419 Pfund mit einem Werte von RM. 9.559.292. Zahlreiche an der Elbe beheimatete Krabbenfischerfahrzeuge landen täglich ihre schmackhaften Fänge Krabben. Die Ankunft der Fahrzeuge wird von den anwesenden Fremden mit großem Interesse verfolgt, die sogleich die frischgekochten Schaltiere mit großem Wohlbehagen verzehren.