Cuxhaven

Geschichten rund um die alte Hamburger Exklave " Amt Ritzebüttel"

Fundstücke aus historischen Zeitungen, die das Leben und Lebensgefühl in Cuxhaven und umzu beschreiben 

Ein Reisebericht über Cuxhaven 1886

aus der Zeitschrift "über Land und Meer" Band II 1886/87 

Daß heutige hamburgische Amt Ritzebüttel, früher ein Besitz der Herren von Lappen, welche sich vor etwa 800 Jahren zum Zweck des Seeraubs in der Nähe der Elbmündung das mit Wall und Graben umzogene „Haus Ritzebüttel" erbauten, wurde, durch das der ewigen Seeräubereien überdrüssige Hamburg 1393 den von Lappen im offenen Kampfe abgenommen, dann aber, da Hamburg den wichtigen Platz an der Elbmündung nicht durch Waffengewalt besitzen wollte, den bereits überschuldeten von Lappen um 2000 Mark abgekauft. Seitdem ist das Haus Ritzebüttel mit dem daselbe umgebenen Landgebiet hamburgisches Eigentum. An das Haus Ritzebüttel sich Iehnend, entstand schon früh der Flecken gleichen Namens, der dann in unserem Jahrhundert einen Bruder erhalten und von demselben sogar überflügelt werben sollte.

Dieser Bruder heißt Cuxhaven.

 

Schloß Ritzebüttel

Cuxhaven, unmittelbar an der Elbmündung gelegen, ist ein neuer Flecken, kaum hundert  Jahre alt. Der Hafen, die zunehmende Schiffahrt haben den Flecken hervorgerufen und ihm eine schnelle Blüte verliehen, so daß er schon seit langem mit dem Flecken Ritzebüttel verschmolzen ist, dergestalt, daß die Ritzebütteler vor einigen Jahren beschließen konnten, den unschönen Ortsnamen abzuthun und beide Flecken unter dem einen Namen „Cuxhaven” zu vereinen, wogegen Schloß und Amt den alten Namen beibehielten.

Die nunmehr stetig wachsende Zwillingsstadt Cuxhaven hat bereits eine gewisse Stellung eingenommen, und wer einen Einblick in die Verhältnisse bekommen, kann sich der Ueberzeugung nicht verschließen, daß der Ort im Lauf der Jahre noch eine kaum zu übersehende Bedeutung gewinnen wird. Hier ist der vorzüglichste PIatz zu einem Welthafen, namentIich auch zu einem Kriegshafen vorhanden, den die Verwirklichung des Projektes eines Nord-Ostseekanals unbedingt zur Folge haben würde.  Hier wird mit der Zeit der Handel Hamburgs seinen Zentralpunkt finden, denn schon heute können die Schiffe mit ihren Lasten nicht mehr nach Hamburg hinauf, sondern müssen unterwegs „geIeichtert”, das heißt zur Hälfte oder mehr noch entladen werben. Ebenso wie Bremen seinen Handel nach Bremerhaven verlegen mußte, wird Hamburg mehr und mehr sein Augenmerk auf Cuxhaven richten müssen, das nach einer Iangen Zeit interessenlosen Zusammenhangens mit Hamburg für diese Stadt die einstige, ja, eine ungleich höhere Bedeutung wiedergewinnt.

So erblicken wir in Cuxhaven eine schnell aufblühende deutsche Seestadt deren Namen gegenwärtig besonders dadurch einen Klang gewonnen hat das bereits 1816 daselbst angelegte, aber durch die Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit der Einwohner fast in Vergessenheit geratene Seebad seit Eröffnung der Unterelbischen Eisenbahn einen bedeutenden Aufschwung gewonnen hat, durch welchen Cuxhaven in die Reihe der „großen" Bäder einzutreten beginnt. Werfen wir daher im Interesse Reise- und Badelustiger einen Blick auf Ort und Umgebung.

Badeanstalt

Cuxhaven ist ein gar freundliches Städtchen. Wohlhabenheit, Sauberfeit, Frohsinn der Einwohner zeichnen es aus. Der ungeheure Verkehr von etwa fünfzigtausend Fremden und Sommerfrischlern (die Seeleute ausgeschlossen), welche hier jährlich ein- und ausfliegen, hat, unbeschadet der Treuherzigkeit der Einwohner, einen angenehmen Verfehrston, ein leichtes Sichanschliessen hervorgerufen. Aber Cuxhavens Lage rechtfertigt solchen Verkehr.  Von den Wogen der Nordsee und der Elbe umspült, bietet es die trefflichsten Fernsichten über die schiffdurchfurchten Wellen. Da, an der äußersten Landecke, auf gewaltigen Felsen ruhend, vom Wasser fast umrauscht, erhebt sich der Seepavillon. Tiefes Blau, vom Licht der Sonne durchstrahlt, breitet sich darüber her; in den leichtbewegten grünlichen Wellen drunten blitzt und funkelt es wie Silber, darin die Möwen ihr weißes Gefieder baden. Da tauchen am Horizont die Masten nahender Schiffe auf mit weitgespannten, blinkenden Segeln; Schwänen gleich kommen sie näher, ziehen vorüber, majestätisch, herrlich; Dampfer winden sich hindurch, Kolosse, lang wie Eisenbahnzüge, hoch und stolz die Brust über dem Wasser erhebend. Mehr und mehr beginnt der Horizont sich zu beleben, die Schiffe folgen sich in dichter Reihe, die Flut steigt, und mit der Flut gehen sie die Elbe hinauf, die leichteren geradewegs nach Hamburg, während die schwereren gewöhnlich schon bei Cuxhaven die Anker auswerfen, um vor ihrer Auffahrt geIeichtert zu werden.-

Endlich steht das Wasser; tiefe Stille breitet sich über der unabsehbaren Ebene aus, nur in der Ferne, weit, weit kreuzt ein kleines Dampfschiff. Was beabsichtigt es? Wir werfen einen Blick in das Cuxhavener Tageblatt und lesen, daß heute von 2 bis 5 Uhr die Elbmündung gesperrt ist, da die Batterien, welche die Einfahrt in die Elbe decken, Schießübungen abhalten werden. Und da sehen wir auch schon aus dem nahen Fort Grimmershörn eine mächtige Dampfsäule, in deren mitte es feurig aufzuckt, über die Wasserfläche dahinfahren; ein gewaltiger Donner macht Luft und Erde erbeben, an uns vorüber heult und braust es, dann folgt ein turmhohes Aufspritzen des Wassers, in weiter ferne noch einmal, ein zweiter heftiger Krach, und schmetternd und explodirend ist die Vielhundertpfündige Granate durch die fern auf einem Floße stehende Scheibe gedrungen. Unsere Brust hebt sich stolz. Deutschland darf ruhig sein! Auch hier auf seinem äußersten Vorposten macht man und versteht zu schießen. Wahrlich, es dürfte Schwerlich einer feindlichen Flotte gelingen, die Elbemündung zu gewinnen. Schuß auf Schuß folgt, Dampfwolken wälzen sich weit hin.

Vom Seepavillon aber bis zu den Batterien ist der Deich mit Schaulustigen, namentlich Fremden, besetzt, welche dem großartigen Schauspiele atemlos folgen. Wir jedoch müssen unsere Schritte weiter lenken, denn Cuxhaven bietet des Sehenswerten gar viel.

 

Alte Liebe
Hafenansicht

Da wendet sich unser Fuß sogleich der „alten Liebe" zu; wir wandern am Leuchtturm vorbei, dessen Feuer den Schiffern den Weg in die Elbe weist. Weiter wandeln wir vorüber am Zeitball, derbden vorüberziehenden Schiffen die Mittagsstunde anzeigt, am Semaphor vorbei, dessen stellbare Arme die in der Nordsee wehenden Winde mitteilen. In der Nähe erblicken wir auch das hübsche Telegraphengebäude, an dessen Fenstern stehts ein Beamter mit scharfen Fernrohr Auslug hält, um Namen und Art der passirenden Schiffe zu gewinnen und sogleich nach Hamburg zu melden. Hängt doch oft viel von dem früheren oder späteren Eintreffen eines Schiffes ab. Dann erblicken wir den Hafen mit seinen großen und kleinen Schiffen, besonders interessant, wenn Schiffe der deutschen Kriegsflotte eingelaufen sind. Hier hat man Gelegenheit, vom sicheren Quai herab dieselben zu beschauen, und gar die geheimnisvollen und gefährlichen Torpedobote zu mustern.

Und nun erst die „Alte Liebe“! Ja, welcher Seemann - ich möchte sagen Europas- kennt nicht die „Alte Liebe“, das weit ins Wasser hinausgebaute Vorwerk des Hafens. Wenn einige Realisten auch behaupten, der Name komme von einem alten, „Olivia" genannten Schiffe, das hier zum Zweck der Gewinnung eines sichern Untergrundes mit Felsen beschwert, versenkt worden sei, - Sage und Dichtung haben für alle Seiten ihren ewig grünen Kranz um die gewaltigen Pfeiler geschlungen, welche, den Wogen trotzend, den Freunden des Meeres auf sicherem Steg einen Gang weit über das Wasser hin gestatten. Selbst der Scherz, daß in Cuxhaven die alte Liebe roste, thut diesem herrlichen Ausflugsplatze keinen Abbruch; ist doch die „Alte Liebe“ Cuxhavens Lorelei

 

Ja, überaus lohnend ist der Spaziergang am Hafen und auf den Deichen! Wenden mir uns nun, dem Hafen entlang gehend, in das Innere des Orts, so stoßen wir am Ende des Hafens zunächst auf das schöne HoteI BeIverdère, Mitte und Knotenpunkt Ritzebüttels und Cuxhavens. Hier dürfen wir getrost ein wenig rasten, überzeugt, Leckerbissen köstlich servirt zu finden, welche das Meer bietet und der Binnenländer gut und billig nur an Küstenplätzen zu kosten bekommt.

Im Orte selbst ist bemerkenswert besonders das „Schloß Ritzebüttel", dessen alter Teil mit den überneigenden, gewaltigen Mauern noch aus der Lappenzeit stammt.

Nicht weit von hier liegt „der Busch" (Brockeswalde), ein kleines, anmutiges Wäldchen mit einladenden PIätzen, wo gut eingerichtete Gasthäuser dem ermüdeten Wanderer die gastlichen Pforten öffnen. Lohnender noch ist indes ein Besuch des Dobrock, eines herrIich bewaldeten Bergrückens mit entzückenden Aussichtspunkten, deren schönster den stolzen Namen „Deutscher Olymp" trägt. Gleich lohnend ist ferner ein Ausflug nach dem eine Stunde von Cuxhaven entfernten Altenwalde. Auf einem bedeutenden Geestrücken gelegen, bietet es für Altertumsforscher besonders reiche Ausbeute an Urnen, Steingeräten und so weiter, welche hier gefunden werden, und für Naturfreunde die großartigste Fernsicht nach der einen Seite über die Nordsee, Elb- und Wesermündung, nach der andern Seite weit über das Land hin.

Kein Wunder das Cuxhaven ein wahrer Sammelpunkt für Sommerfrischler und Badegäste geworden ist; bietet es doch neben den Freuden und Genüssen einer insuIaren Lage auch die AnnehmIichkeiten des Binnenlandes, zu deren vornehmsten gehört, daß man über jede Stunde verfügen und nach beIieben kommen und gehen kann, da Schiffahrt und Eisenbahn den Verkehr Stündlich vermitteln. Schließlich berührt es auch angenehm, das Cuxhaven kein Luxusbad sein will, sondern für arm und reich dasselbe bietet: die überaus köstIiche, stärkende Seeluft, die erfrischenden, kräftigenden Wälder und neben billigen Pensionen herzliches Entgegenkommen.

Hotel Belverdere
Gaststätte im Brockeswalde
Hotel Bellevue

Aber im Winter? Nun freilich, im Winter ist‘s mit dem sommerlichen Leben vorbei, aber auch nur mit dem sommerlichen. So still und öde, so tot wie ein Binnenort wird Cuxhaven nie; dafür sorgt das Meer. Unter den Peitschenhieben der westlichen Stürme beginnt’s drin zu leben, zu atmen, sich zu regen. Die Sturmfluten kommen, brausen donnernd daher und schleudern den Schaum der wild sich aufbäumenden Wogen über den Deich. Auf der AIten Liebe, nach welcher die Seefahrer ihre letzten Blicke, die Heimkehrenden ihre ersten Grüße senden, stehen dann die alten „Seebären" im Regenrock, den Südwester auf dem Haupt.

Die kalten Schnee- und Regenböen peitschen ihnen das wettergebräunte Gesicht; sie achten es nicht, ihr Blick ist auf die kochende, wirbelnde, donnernde Flut gerichtet, deren Wogen unter gewaltigem Hallelujah gen Himmel streben. Da teilen sich fern die finsteren Wolkenballen, vielleicht zuckt auch ein Blitz hindurch, das Licht fällt - nur einen Augenblick - auf Masten, deren Spitzen eben aus den Wogen hervorzuragen scheinen. Das ungeübte Auge bemerkt’s kaum, aber die kundigen Männer am Strand haben nicht bloß die Masten, sondern auch die Rotflagge daran entdeckt. Da kommt Leben in die starre Menge, alle Hände regen sich, das Rettungsboot wird flott gemacht, und - jetzt denken diese Männer, die vorher so starr, in kalt schienen, nicht mehr an sich, nicht mehr an Weib und Kind -

vorwärts, es gilt Menschenleben zu retten! - und schon schießt das kleine Boot, von starken Händen getrieben, in die Flut hinaus; die Wogen stürzen drüber hin, man sieht es nicht mehr, aber - -  da ist es wieder, taucht wieder, von einer Welle gehoben, empor, verschwindet und erscheint wieder, und jetzt ist es den Augen entrückt.

Werft

Aber nur getrost, es wird sein Ziel erreichen, die Männer drinnen haben sich mit Sturm und Wogen verbrüdert, sie werden die gefährdete Mannschaft eines verlorenen Schiffes in den sichern Hafen, zu mitleidigen, erbarmenden Menschen bringen! Und der Sturm tobt vorüber. Da sind Strand und Hafen mit neugierigen bedeckt, denn jetzt bringen die kleinen Schleppdampfer die zertrümmerten Schiffe in die Elbmündung und in den Hafen ein. Ach, welch ein Anblick! Diese vorher so schönen, stolzen Schiffe - nun mit zerspIitterten Masten, nacktem Deck, zerschlagenen Wanten, gebrochenen Steuer, kahle, schwarze, auf der Seite liegende Rumpfe, und von dem kahlen Deck sind die im Kampf ums Dasein ringenden Männer hinweggespült; nur wenige, durchnäßt, halb tot, sind zurückgeblieben

Das ist Cuxhaven, das Auge Hamburgs, mit welchem Hamburg sein Reich, das Meer, überschaut, und seine Handelsstraße, die Elbe überwacht.

Ein kleines Amt, dieses Cuxhaven, wie es an der nördlichsten Ecke Deutschlands liegt, mit ungefähr 7000 Seelen, eine kleine Republik für sich, ein kräftiges, frisch aufstrebendes und gerade deshalb ein – glückliches Völkchen.

 

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