*22.Januar 1729 Kamenz (Oberlausitz) †25.Februar 1781 Braunschweig
Im Jahre 1776 hatte der Hamburger Schriftsteller Johann Friedrich Löwen einen ehrgeizigen Plan: Er wollte in Hamburg ein „Deutsches Nationaltheater“ schaffen, ein weit
über Hamburgs Grenzen hinauswirkendes Mustertheater, Jahrzehnte vor Schiller eine „Schaubühne als moralische Anstalt“. Die Voraussetzungen dazu schienen günstig. An der Stelle des baufällig
gewordenen Opernhauses am Gänsemarkt hatte der in Hamburg gefeierte
Schauspieler Konrad Ernst Ackermann 1765 ein neues Schauspielhaus errichten lassen, das unter den Hamburgern einige Anziehung genoß. Neben Ackermann wirkte hier auch der Schauspieler Konrad Ekhof,
einer der gößten Mimen des Jahrhunderts, der sich vor allem um die Sprecherziehung der Schauspieler ver-
dient gemacht hat. Die Stelle des Dramaturgen bot Löwen dem Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing an, und der sagte zu. Ihm war Hamburg von einem kurzen Besuch 1756 bekannt und offenbar auch
sympathisch.
In Hamburg war der am 22. Januar 1729 in Kamenz (Oberlausitz) als Sohn eines Pfarrers geborene Lessing nicht unbekannt: Zwischen 1753 und 1755 war die sechsbändige Ausgabe der „Schriften“ erschienen,
von 1754 bis 1758 die vier Bände der „Theatralischen Bibliothek“, von 1759 bis 1765 die „Briefe die neueste Literatur betreffend“ und 1766 „Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie“.
Lessing traf Anfang April 1767 in Hamburg ein. Als Morgengabe hatte er sein Lustspiel „Minna von Barnhelm“ im Gepäck, das am 30. September 1767 am Gänsemarkt uraufgeführt wurde. Vor-
angegangen war ein diplomatisches Tauziehen, denn der sehr aktuelle Stoff aus der jüngsten preußischen Geschichte hatte naturgemäß das Interesse des preußischen Gesandten erregt, mit dem es der Rat
auf keinen Fall verderben wollte. Erst nach einigen Einsprüchen von dort und erbötigen Rückziehern hier durfte das
Stück endlich über die Bühne gehen. Die Rolle des Tellheim spielte Konrad Ekhof, von dem Lessing in seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ schrieb, „man bedauert, nicht zugleich alle übrigen Rollen von
ihm sehen zu können“.
Das neue Programm aber, das dem Theater ein anderes Gesicht geben sollte, hatte am 22. April 1767 begonnen. An dem Tage hatte Lessing die Ankündigung seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ geschrieben.
Diese Theaterzeitschrift sollte die zu spielenden Stücke vorstellen und zugleich „jeden Schritt begleiten, den die Kunst, sowohl des Dichters als des Schauspielers, hier tun wird“. Das war, wie
Lessing ahnungsvoll erkannte, „keine Kleinigkeit“. In der Tat mußte er die „Hamburgische Dramaturgie“ schon 1769 aufgeben, weil das Vorhaben gescheitert war. Die Hamburger wollten leichte
Unterhaltung, nicht aber die ihnen von Löwen und Lessing zugedachte „Schaubühne als moralische
Anstalt“.
Dennoch war das Werk nicht umsonst getan: Lessings aus 52 Einzelkritiken bestehende „Hamburgische Dramaturgie“ wurde die erste deutsche Dramenlehre. Und sie hat Lessings Namen mit dem Hamburgs auf immer verknüpft. Außerdem entstanden in Hamburg Lessings „Briefe antiquarischen Inhalts“ (1768/ 69) und „Wie die Alten den Tod gebildet“ (1769). Auch das nächste Unternehmen verlief unglücklich. Lessing beteiligte sich an der Buchhandlung und Druckerei von Johann Joachim Bode, einem Unternehmen, das durch die scharfe Konkurrenz der Raubdrucker in Konkurs ging. Um seine Schulden zu decken, mußte Lessing seine kostbare Bibliothek versteigern lassen. Dennoch wäre es falsch, Lessings drei Hamburger Jahre nur als Fehlschlag zu betrachten. Der Schriftsteller, der noch am 20. März 1768 an seinen Vater geschrieben hatte, „ich bin hier fremder als an einem Orte, wo ich noch gewesen, und kann mich kaum einem oder zwei vertrauen, deren Beistand ich bereits mehr als gebraucht habe, und deren Kräfte doch auch nicht weit reichen“, fand einen überaus anregenden Freundeskreis. Dazu gehörte der Arzt Johann Albert Heinrich Reimarus, der Lessing das Manuskript
seines Vaters Hermann Samuel Reimarus anvertraute „Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“ (von Lessing 1784 als „Fragmente des
Wolfenbütteler Ungenannten“ zum Teil herausgegeben). Lessing verkehrte im Hause des Mathematikers und Nationalökonomen Johann Georg Büsch, er traf sich mit Friedrich Gottlieb Klopstock, Matthias
Claudius, Carl Philipp Emanuel Bach, und er besuchte auch gern den Hauptpastor von St. Katharinen, Johann Melchior Goeze, der später sein grimmiger Gegner werden sollte.
Eine besondere Freundschaft verband Lessing mit dem Seidenhändler Engelbert König und dessen Frau Eva. König starb während einer Reise 1770 in Venedig. Seine Witwe wurde, im Alter von 40 Jahren,
Lessings Frau. Die beiden heirateten am 8. Oktober 1776 in Jork im Alten Land auf dem Gut des Hamburger Kaufmanns Johannes Schuback, als Lessing längst Bibliothekar in Wolfenbüttel war. Dorthin hatte
man ihn nach dem Scheitern seiner Hamburger Mission berufen: Er hatte Hamburg im April
1770 verlassen. Eva König starb nach nur fünfzehn Monate währender, glücklicher Ehe mit Lessing im Januar 1778 im Kindbett.
Trotz aller Fehlschläge hat Lessing nur ungern Hamburg verlassen. Kurz vor seiner Abreise schrieb er: „Ich bin leider hier so tief eingenistet, daß ich mich gemächlich losmachen muß, wenn nicht hier
und da ein Stück Haut mit sitzen bleiben soll.“ Und noch am 10. Januar 1778 schrieb er an Elise Reimarus bedauernd: „Wer in dieser Gesellschaft hätte bleiben können! Wer aus dieser Gesellschaft nur
einen einzigen hier hätte! “
Lessing hat seine Frau nur um drei Jahre überlebt. Am 25. Februar 1781 starb Gotthold Ephraim Lessing in Braunschweig.