Architekten Hermann Distel in Gemeinschaft mit der BAuleitung der H.E.W., Architekt F.Herold, Hamburg
Aus der "Deutsche Bauzeitung" vo 26.April 1930 Nr. 34
Hamburgs heutige City ist nach keinem einheitlichen Plan geworden, ist auch nicht natürlich und allmählich gewachsen. Der große Brand schuf Straßenräume nach eigenem, spätklassizistischem Ideal, beließ aber die anstoßenden unversehrten Stadtteile in ihren gotisch-romantischen Verwinkelungen. Der Durchbruch der Mönckebergstraße vor dem Kriege vollendete die Vernichtung alter Einheiten und fügte zum allgemeinen Wirrwarr neue Straßenräume und neue Hausgrößen hinzu. Denn nicht so sehr die Veränderung der Straßenzüge und Plätze war das Kritische bei all diesen Maßnahmen, sondern daß die primäre Einheit allen Städtebaues, das Einzelhaus, den lebendigen Zusammenhang mit dem Straßenraum verlor. So ist es denn nicht verwunderlich, daß der vielbewunderte Bau der Mönckebergstraße zwar in sich zu einer gewissen Einheit erwuchs, aber dafür an den Anschlußstellen an den vorhandenen Raumgebilden diese gründlich verdarb. Am schmerzlichsten muß dies am alten Pferdemarkt festgestellt werden, dessen unregelmäßiger Grundriß mit den kleinen malerischen, den Berg erklimmenden Fachwerkbauten und der alles überragenden, gewaltigen Jacobikirche zum Kunstwerk sich einst verschmolz. Heute ist der Platz ein starres Viereck. Die riesigen Kästen der Mönckebergstraße verdecken die Kirche. Schwindsüchtig schmale Bauten lehnen sich an breitgelagerte oder wild-lotrecht geteilte in krauser Folge an. So bot der Pferdemarkt fast den Anblick eines Hofes mit planlos gestalteten Hinterfassaden.
Der Neubau des Kontorhauses der H. E. W. gibt mit einem Schlage dem Platz Ansehen und Bedeutung wieder zurück. Die große Hauseinheit entspricht dem schlichten, nicht weiter untergegliederten Platzgrundriß. Sie entspricht auch maßstäblich der Mönckebergstraße. So bringt der Bau Platz und Straße zusammen. In der breitgelagerten Haltung paßt er besonders gut zu der klaren Gliederung des Platzvierecks und schafft zu diesem die Brücke. Dennoch schwimmt er nicht haltlos in der Platzwand, sondern weiß aus dem ganz kleinen Format des blauvioletten breitgefugten Westfähnger Klinkers von 4 cm Höhe, aus den waagerecht mit Sprossen geteilten gedrückten Fensterscheiben den gleichen zarten Maßstab zu entwickeln, den die Nachbarschaft hat in ihren besten Bauten, weiß aber auch kraftvolle Flügelstücke zu gestalten, die ihn energisch von der Umgebung wieder lösen und auf sich selbst stellen.
So spiegelt die Fassade die dynamischen Kräftelinien wieder: starke Steingesimse weiten den Bau und verwischen seine aus dem alten Grundriß übernommene Dreiteilung der Hauptfront. Die letzten Achsen rechts und links sind für sich vertikal zusammengefaßt. Das oberste Gesims verkröpft sich als trennende Vertikale auf Nachbargrenze. Ausgleichend zwischen lotrecht und waagerecht schiebt sich eine von unten exzentrisch ausstrahlende dritte Bewegung: von den drei überdachten Eingängen zu den Lichtträgern auf den breiteren Pfeilern, zu den hochgekröpften Ecken auf Grenze und zu den in schmalen Fenstergalerien ausklingenden beiden Obergeschossen, von denen das letzte zurückgestaffelt und in Kupferblech verkleidet ist (Abb. 1)
Dieser Eigenbewegung in der Fassade entspricht eine Mannigfaltigkeit der inneren Organisierung. Die Grundrißgestaltung war umso schwieriger, als der rechte Bauteil aus einem solid gebauten Werksteinbau der neunziger Jahre bestand, den abzureißen wenig wirtschaftlich gewesen wäre und in dem während des Baues der ganze Kassen- und Verwaltungsbetrieb der H. E. W. ohne Störungen aufrecht gehalten werden mußte. Nur die linke Hälfte konnte von Grund auf neugebaut werden. Geschoßhöhen und Fensterachsen waren somit von vornherein festgelegt wie auch die Lage der Flure und der Treppen. Im Erdgeschoß führt der Zugang durch die offene Vorhalle in den breitgelagerten Windfang mit Pförtnerloge; zur Linken liegen, durch breite Glastüren sofort sichtbar, die Kassen mit allseitig offenen Schaltern und Schreibpulten und Sitzplätzen des Publikums in der Mitte. Zur Rechten befinden sich derVerkaufs- und Vorführraum und die Aborte für Personal und Publikum. Die achsial gelegene Treppenhalle enthält außer der breiten Haupttreppe das Paternosterwerk und den Lift. Große Fenster und helle Werksteinverkleidung erhellen den Raum bis in die letzte Ecke. Die nächsten Geschosse sind für die Direktion bestimmt. So enthält die Treppenhalle die Anmeldeloge. Der Sitzungssaal liegt zum ruhigen Hof hin und hat eigene Garderobe und Abortanlage, darüber in halber Geschoßhöhe den eingebauten Kinovorführapperat.
Die Holzvertäfelung der Schmalseite des Saales ist verschiebbar und gibt dann die Bildfläche für den Projektionsapparat frei. In den Direktorenzimmern sind die Kleiderablagen, die Waschgelegenheit und die Büchereien eingebaut hinter vertäfelten Wänden. Auch das Mobiliar ist von den Architekten neu entworfen. Die Flure sind in dekorativer Form umgestaltet. Lebhaftfarbiges Linoleum ist intarsienartig zu aparten Mustern zusammengesetzt; die Wände gehen unmittelbar in eine Rabitztonne über, die durch das indirekte, eingebaute Licht in origineller Form belebt ist (Abb. 14 u. 15).Die obern Geschosse enthalten das Baubüro und die zahlreichen Verwaltungen und Werkräume. Insbesondere sind als Wohlfahrtseinrichtungen hier die elektrischen Musterbetriebe für das Kasino zu nennen, mit elektrischen Kochküchen für mehrere hundert Menschen mit Eßräumen, Kaffeestuben, Werkmeisterberatungszimmern, Dachterrasse, Bädern aller Art und Bibliothek. Das zurückgestaffelte Dachgeschoß enthält die Aktenkammern. In seiner liebevollen Durchdachtheit ist der Bau ebenso sehr ein Zeugnis für das wissenschaftlich- gründliche Arbeiten unserer Architektenschaft, für ihr ingenieurmäßiges Können wie auch für die innere Kultur, die sich nicht begnügt, einen Bau schlechthin so gut als möglich zu schaffen und die Vielheit eines modernen Wirtschaftsbetriebes repräsentativ zu gestalten, sondern darüber hinaus mitarbeiten will am Bilde der Heimatstadt. Dr.-Ing. Bahn