Zentralblatt der Bauverwaltung,No.47 17.Juni 1904
Wie in allen großen Hafenstädten, die zu beiden Seiten breiter Flußmündungen, zumal im Ebbe- und Flutgebiet gelegen sind, macht auch in Hamburg die Herstellung geeigneter Verbindungen zwischen den beiden Ufern große Schwierigkeiten, da der Verkehr der Schiffe die Anlage fester Brücken mit entsprechend tief liegender Fahrbahn nicht zuläßt. Abgesehen von den Fähren, seien es gewöhnliche
schwimmende oder schwebende Fähren, kommen in solchen Fällen bewegliche Brücken und Tunnel in Betracht. Erstere sind ausführbar bei beschränkter Breite der von den Schiffen zu benutzenden Stromlinie. Ein bekanntes Beispiel dieser Art ist die Towerbrücke in London. Bei breiteren, von Seeschiffen stark befahrenen Flußstrecken dürfte wohl immer nur eine Tunnelverbindung zwischen den beiden Ufern in Frage kommen, die freilich nur mit sehr bedeutendem Kostenaufwande hergestellt werden kann. Derartige Beispiele gibt es ebenfalls in London, Glasgow und anderen Orts.
Für Hamburg bildete die Frage einer festen Verbindung mit dem südlichen Elbufer mit Hilfe eines Tunnels bereits Anfang der achtziger Jahre den Gegenstand eingehender Erwägungen sowohl innerhalb der Behörden, als auch unter den gesetzgebenden Körperschaften. In der ersten Hälfte
der neunziger Jahre kam die Angelegenheit aufs neue zur Sprache. Diesmal beschränkten sich die Verhandlungen indessen nicht auf die Frage der Tunnelverbindung allein, sondern erstreckten sich auch auf die Prüfung darüber, ob nicht etwa durch eine Hochbrücke oder auch eine elbaufwärts und oberhalb des Freihafengebietes über den Fluß hinweg, sodann am anderen Ufer wieder stromabwärts führende Eisenbahn der Verkehr zwischen den Ufern zweckmäßig erleichtert werden könne. Von der Ausführung eines Tunnels sehreckten zunächst, abgesehen von verschiedenen verkehrspolitischen und technischen Bedenken, die großen Kosten zurück, ohne daß man sich jedoch entschloß, eine der anderen Verbindungen zur Ausführung zu bringen. Vielmehr wurde das nachdrücklichste Bestreben auch weiterhin auf eine Verbesserung der Fährverbindungen gerichtet und auf diese Weise tatsächlich die Frist für durchgreifendere Maßregeln auf eine Reihe von Jahren hinausgeschoben. Mit der Zeit traten aber Verhältnisse ein, die es unabweislich machten, der Frage einer festen Verbindung zwischen den Ufern erneut näher zu treten. Seitens der Staatsbauverwaltung ist ein `Entwurf` für einen Tunnel zwischen St. Pauli und Steinwärder aufgestellt worden, der im Senate behandelt und kürzlich mit einem ausführlichen Bericht an die Bürgerschaft weitergegeben worden ist. Die Gesichtspunkte, welche die Anlage eines Tunnels statt einer sonstigen Verbindung wünschenswert machen, sind in diesem Berichte eingehend dargelegt. In erster Linie forderte der Fuhrwerkverkehr eine unmittelbare Verbindung zwischen der Stadt und dem Südufer. Mit der Zunahme der gewerblichen Betriebsstätten trat ferner mehr und mehr die Notwendigkeit hervor, die großen Arbeitermengen bei Beginn und Schluß der Arbeitszeit möglichst rasch und ungehindert, namentlich auch bei Eis und Nebel, über den Strom zu befördern. Dem Bedürfnisse des übrigen Personenverkehrs hätte durch den Fährbetrieb im allgemeinen nach wie vor Rechnung getragen werden können. Während ferner bei den früheren Entwürfen die Verbindung in die durch die Linie Kehrwiederspitze- Steinwärder bezeichnete mittlere Hafengegend gelegt war, haben sich die Verhältnisse so geändert, daß es heute angezeigt erscheinen muß, die Verbindung zwischen St. Pauli und Steinwärder anzulegen, wie es die Abb. 1 näher erkennen läßt. Die Frage, welches Verbindungsmittel, abgesehen von den zur Zeit nicht mehr zulänglichen Fährverbindungen, an dieser Stelle zur Ausführung zu bringen ist, mußte' zugunsten eines Tunnels mit Aufzügen an den Enden nach dem Vorbilde des Clydetunnels in Glasgow entschieden werden. Eine Hochbrücke würde nach den heutigen Anschauungen etwa 50 bis 60 m über dem Strom liegen müssen, und dieser große Höhenunterschied läßt eine solche Anlage als durchaus ungeeignet erscheinen. Eine schwebende Fähre, etwa nach dem Muster derjenigen in Bilbao (erbaut 1892) und Rouen (erbaut 1891), deren Unterkante etwa 9 m über normalem Hochwasser angenommen wurde, verbietet sich aus verschiedenen Gründen.
In Bilbao ist die auch bei ruhigem, Wetter in den Fluß eindringende Dünung so heftig, daß ein Anlegen für Fährdampfer kaum möglich ist und man daher, falls man nicht auf eine Verbindung überhaupt verzichten wollte, zur Schwebefähre greifen mußte. In Rouen fehlt es an einem regen Schiffsverkehr, der den Verkehr des Fährschiffes stören könnte oder durch dieses gestört würde. In Hamburg dagegen hat man, namentlich zur Hochwasserzeit, mit einem überaus. regen, zeitweise sich stark zusammendrängenden Verkehr aufkommender wie ausgehender Seeschiffe zu rechnen. Die Zahl dieser Schiffe ist um so größer, je größer die Durchfahrthöhe ist, die sie erfordern. Die Fähre ist nicht in der Lage, wie die anderen Dampfer seitlich auszuweichen, und wenn sie vor einem vorbeifahrenden Schiffe mitten über dem Strome halten muß, so ist dies namentlich zur Zeit der Anhäufung des Seeverkehrs bei Hochwasser sowohl gefährlich für alle anderen Schiffe, als auch für die Schwebefähre selbst, so daß man während dieser Zeit mit stundenlangen Betriebseinstellungen der Fähre rechnen müßte. Noch bedenklicher gestalten sich die Verhältnisse bei herrschendem Nebel. Gerade in solchen Zeiten, wenn die Schiffsverbindung zwischen den beiden Ufern besonders erschwert ist, wird es kaum zulässig sein, den Fährbetrieb aufrecht zu erhalten, da die Schiffe, die sich immer noch eher ihren Weg durch den Nebel suchen können, von der Fähre nicht rechtzeitig gesichtet werden können, und wenn alsdann die Fähreunterwegs plötzlich genötigt ist, vor einem Schiffe Halt zu machen, die Gefahr eines Zusammenstoßes mit den übrigen im gleichen Strome fahrenden Schiffen um so größer wird. Ebensowenig erscheint ein ungestörter Betrieb der Fähre ausführbar, wenn nach schwerem Nebel die Seeschiffe in verstärkter Zahl während einer Tide heraufkommen oder wenn bei Eisgang die Lenkbarkeit der Schiffe stark beeinträchtigt ist. Dann würde die Fähre den Zeitpunkt der Vorbeifahrt der Schiffe kaum richtig schätzen können und ebenfalls ganz zum Stillstande kommen, wenn ein ihren Weg kreuzendes Fahrzeug oder ein Schleppzug im Eise zeitweise stecken bleibt, was bei schwererem Eisgange keineswegs ganz selten eintritt. Auch die Anlage einer Wagenfähre würde sich namentlich aus dem Grunde nicht empfehlen, weil sich aus der geringen Bewegungsfreiheit der Fähre Schwierigkeiten und Gefahren für den Verkehr auf dem Wasser ergeben würden und es namentlich an der Möglichkeit mangelt, auf dem nördlichen Elbufer Zufahrtsrampen zur Fähre herzustellen. Die Bedenken sind durch einen für solche Fähre aufgestellten Entwurf nur noch verstärkt worden. Die Einstellung eines so großen Fährschiffes, wie hier in Frage käme, das bei 40 m Länge und 10 m Breite Platz für zehn bespannte Wagen und etwa 700 Personen böte, wäre kaum zulässig bei der hier in Betracht kommenden Strecke. Statt dieses größeren Fährschiffes mehrere kleinere zu bauen, empfiehlt sich nicht, weil daraus für den übrigen Schiffsverkehr auf den stark befahrenen Strecken nur erhöhte Schwierigkeiten entstehen würden. Dabei unterliegen derartige Fähren in gleicher Weise wie alle übrigen Fahrzeuge dem Nachteil, daß sie gerade dann versagen, wenn sie besonders notwendig sind, also bei stärkerem Eisgange oder Nebel.
Die nach Lage der Sache beste Verkehrseinrichtung, durch welche allen diesen Bedenken begegnet wird, ist der Tunnel: er beeinträchtigt die Schiffahrt in keiner Weise, ist von Nebel und Eis vollkommen unabhängig und läßt den einzig leistungsfähigen, nämlich ununterbrochenen Betrieb zu.
Nach dem aus den gemeinsamen Beratungen der l. und 2. Sektion der Hamburgischen Baudeputation hervorgegangenen Entwurfe, der in den Abb. 2 bis 6 in den Hauptzügen erläutert ist, sollen an den beiden Mündungspunkten des Tunnels, nämlich am St. Pauli-Landungsplatz und am Südufer in der Nähe der Steinwärder-Badeanstalt, runde überdeckte Schächte von 20 m Durchmesser hergestellt werden, in deren jedem sich sechs Lastenaufzüge von drei verschiedenen Längen, nämlich von 9,4 und 7 m für Fuhrwerk und von 3,2 m für Personen, bewegen sollen. In die beiden vermittels des Druckluftverfahrens zu versenkenden Schächte, deren Sohle etwa 6,5 m unter dem Flußbett der Elbe liegen wird, münden unten zwei Paralleltunnel von 4,8 m innerem Durchmesser, von denen der eine für den nach Norden, der andere für den nach Süden gerichteten Verkehr bestimmt ist. Jedes der Tunnelrohre ist der Breite nach in eine Fahrbahn für Lastfuhrwerk und zwei beiderseitige Fußwege für den Personenverkehr eingeteilt, ähnlich wie es beim Backwalltunnel in London der Fall ist. Von den sechs Aufzügen an jeder Seite dienen drei zum Hinablassen und drei zum Heraufholen von Fuhrwerk und Personen. Der Tunnelquerschnitt und die größten der beiderseitigen Aufzüge sind so bemessen, daß sie für Lastfuhrwerk vom größten nach der Straßenordnung zulässigen Ladungsumfange und Gewicht ausreichen. Der Betrieb läßt sich so einrichten, daß in den Stunden des Hauptandranges der Arbeiter der Tunnel für den Fuhrwerkverkehr gesperrt und die sonst für die Beförderung des Fuhrwerk bestimmten größeren Aufzüge sämtlich für den Personenverkehr mitbenutzt werden. Alsdann ist die gleichzeitige Beförderung von 120 Personen bei den größten, von 80 Personen bei den mittleren und von 20 Personen bei den kleinsten Aufzügen möglich. Außerdem sind in jedem Schachte noch Fußgängertreppen angeordnet. Die Wände der Tunnelrohre und der Schächte sollen mit glasierten weißen Platten ausgekleidet und die gesamten Innenräume mit reichlicher elektrischer Beleuchtung sowie einer Notbeleuchtung versehen werden. Die Entwässerung des Tunnels erfolgt durch kleine elektrisch betriebene Pumpen. Die aus Eisen gebauten, mit Mauerwerk und Beton verkleideten Tunnelrohre liegen so tief unter der Fußsohle, daß bei ausreichender Deckung der Rohre in der ganzen Breite der Schiffahrtrinne noch eine Wassertiefe von 10 m bei Hochwasser verbleibt, die für die elbaufwärts gelegenen Häfen nach Ansicht der Behörden ausreicht. Es soll indessen die Möglichkeit gewahrt werden, die Überdeckung des Tunnels später noch zu verringern, um erforderlichenfalls die Hochwassertiefe auf 11 und selbst 12 m zu bringen. Über jedem der Aufzugsschächte ist eine Einfahrtshalle vorgesehen, die in ansprechenden Bauformen ausgestaltet werden soll. Da die Tunnelmündung auf dem Nordufer im Zollinland, bei Steinwärder im Freihafengebiet liegt, so werden für die Verzollung der einzuführenden und die Aufgabe der auszuführenden Waren besondere, dem zu erwartenden starken Fuhrwerkverkehr entsprechend zu gestaltende Einrichtungen erforderlich. Für beide Abfertigungen ist der Vorraum vor der auf Steinwärder liegenden Tunnelmündung in Aussicht genommen. Auf der Nordseite soll nur eine Zentesimalwage zur Prüfung der Wagengewichte erbaut werden.
Auf Steinwärder mündet der Tunnelschacht auf einen durch Zollgitter umgebenen großen Vorplatz, in dessen Einfriedigung eine genügende Zahl von Kassenhäuschen für den Personenverkehr, die mit Zählkreuzen ausgestattet sind, sowie die für den Fuhrwerkverkehr erforderlichen und nur von diesem zu benutzenden Tore vorgesehen sind. An beiden Seiten des Platzes ist je eine Tunnelkasse für das ein- und ausgehende Fuhrwerk, die westliche in Verbindung mit einer Zentesimalwage angeordnet. Im Osten schließt sich an den Vorraum das Zollabfertigungsgebäude für den eingehenden Wagen- und den Personenverkehr, im Westen dasjenige für die Aufgabe der auszuführenden Waren an. Beide Abfertigungsgebäude erhalten besondere, durch Gitter und Tore abgeschlossene Vorfahrten; innerhalb derjenigen für die Zollabfertigung soll eine zweite Zentesimalwage angebracht werden.
Die oberen Stockwerke der Gebäude enthalten Wohnungen. Die Kosten des gesamten Baues, für dessen Ausführung eine Bauzeit von 2 bis 3 Jahren erforderlich sein wird, sind auf 8,2 Millionen Mark berechnet. Davon entfallen 7,39 Millionen Mark auf den eigentlichen Tunnelbau, 125 000 Mark auf die Arbeiten zur sorgfältigen Abdeckung der Elbsohle über dem Tunnel und 545000 Mark auf die Straßenänderungen und Zolleinrichtungen. Ferner sind für die Inbetriebnahme und die ersten Betriebskosten einschließlich der Wärterlöhne sowie für Bauaufsicht noch 140000 Mark angenommen. Die jährlichen Betriebskosten sind, ohne Rücksicht auf Tilgung der Anlagekosten, auf 55000 Mark geschätzt, wovon 31000 Mark auf die Lieferung des zum Betriebe der Aufzüge und zur Tunnelbeleuchtung erforderlichen Stromes aus dem städtischen Elektrizitätswerk, ferner 17 700 Mark auf Gehälter und Löhne und 6300 Mark auf die Unterhaltung der Anlage entfallen. Ahnlich wie in Glasgow soll für die Benutzung der Einrichtungen eine Gebühr erhoben werden, die jedoch für Fußgänger, mit Rücksicht auf den Arbeiterverkehr, möglichst niedrig bemessen werden soll. Vermutlich würde sich im Jahre eine Einnahme von etwa 168000 Mark erzielen lassen, die ausreichen würde, um die Betriebskosten zu decken und dabei den Anlageaufwand für die maschinellen Anlagen in Höhe von 1271000 Mark zu verzinsen und zu tilgen, während die eigentlichen Baukosten staatsseitig als verlorener Betrag aufzuwenden wären. Mit Sicherheit lassen sich diese Verhältnisse natürlich noch nicht übersehen; es wird beabsichtigt, die Abgabe zunächst vorläufig festzustellen und nach Maßgabe der gesammelten Erfahrungen zu berichtigen. Angenommen ist, daß im Tage 5000 Arbeiter hin- und ebensoviele zurückbefördert werden und daß der Tunnel sonst noch von 3000 Personen täglich benutzt wird. Die Einnahme auf die Person ist mit 3 Pfennig eingesetzt. Ferner ist geschätzt, daß täglich 200 beladene und 200 leere Wagen sowie 100 Karren den Tunnel durchfahren und daß diese Fahrten mit 50, 30 und 10 Pfennig belastet werden. In der Sitzung der Bürgerschaft am Mittwoch, den 11.Mai 1904 hat eine Beratung über den vorstehend erörterten Entwurf stattgefunden. Das Ergebnis der Verhandlungen war, daß die Vorlage an einen Ausschuß von 10 Personen überwiesen wurde. Wie die Verhandlungen erkennen lassen, ist im übrigen die Stimmung der Bürgerschaft im wesentlichen für die Ausführung des Entwurfs. Die Gründe, die eine weitere Prüfung durch einen Ausschuß notwendig erscheinen ließen, betreffen zunächst die Lage des Tunnels. Sodann wurde darauf hingewiesen, daß möglicherweise, wie bei dem Blackwall- Tunnel in London, die Anlage eines einzigen Rohres der Führung getrennter Rohre für die beiden Verkehrsrichtungen vorzuziehen sei. Schließlich wurde gewünscht, daß die Frage, ob überhaupt eine Abgabe erhoben werden soll, noch einmal gründlich erwogen werde. Nach allem aber ist die Ausführung der bedeutsamen Verkehrsanlage, sei es auch mit verschiedenen Anderungen, mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Deutsche Baugewerkszeitung Nr.89/90 vom 08.11.1911 & 11.11.1911
Im September dieses Jahres ist ein bedeutendes Werk der Ingenieurbaukunst, der Elbtunnel in Hamburg, vollendet und ohne besondere Feierlichkeit dem Verkehr übergeben worden, obgleich es ein sehr kühnes und sehr schwieriges Unternehmen gewesen ist, das in seiner glücklichen Vollendung seinen Meistern alle Ehre macht.
Ein umfangreicher Komplex von Hamburger Werft- und Speicheranlagen, von Zollgebäuden und Lagerplätzen dehnt sich weit über viele Kilometer an der Südseite der Elbe bei Steinwärder und Umgegend aus, und um vom Zentrum Hamburgs dorthin zu gelangen, fehlte es an einem günstigen Verkehrsmittel, da der Personenverkehr durch Fähren vermittelt wurde, die aber, besonders, wenn die zahIreichen Arbeiter zu den Werften und Betriebstätten hinübergesetzt oder gar Feierstunde wieder abgeholt werden mussten, durchaus nicht ausreichten. Ebenso konnte das Fuhrwerk, obgleich an dieser Stelle die Elbufer nur 400 m auseinander liegen, aus der Stadtmitte nur nach einem Umwege von 12 km hinübergelangen. Über die Elbe eine Brücke zu schlagen, verbot sich, weil sie wegen der Durchfahrt für die hochbemasteten Hamburger Riesensegelschiffe 60 m über dem Wasserspiegel hätte liegen müssen und außer den Kosten von 20 Millionen Mark namentlich auch für Fuhrwerke schwierige Zufahrten geboten haben würde. Aus diesen Erwägungen tauchte zuerst im Jahre 1901 die Idee auf, einen Tunnel zwischen St. Pauli und Steinwärder unter der Elbe zu bauen. Jahre vergingen mit Studienreisen ins Ausland zur Besichtigung derartiger Anlagen, sowie mit verschiedenen Planungen und Kostenberechnungen, bis im Frühjahr 1907 die Übertragung des Baues, für den die Bürgerschaft 10.750.000 M. bewilligt hatte, an die bekannte Firma Philipp Holzmann & Co. erfolgte und am 22. Juli desselben Jahres auf Steinwärder der erste Spatenstich ausgeführt wurde. Am 29. März 1909 vollzog sich der Durchbruch des Osttunnels und wenige Monate später, am 4. Juni, der Durchschlag des Westtunnels, womit also die Anlage im Rohbau fertiggestellt war. Die übrige Zeit bis zum September 1911 wurde zur Innenaustattung der Tunnelröhren, der Aufzugschächte und des architektonischen Aufbaues der Zufahrthallen verwendet.
Zwischen den beiden Ufern ist die Verbindung in der Weise hergestellt, das in Steinwärder und St. Pauli gewaltige Fahrstuhlschächte erbaut sind, die einen lichten Durchmesser von 22m haben, während die Fahrttiefe der Aufzüge in den zwei Schächten 23,50 m beträgt. In jedem Fahrschacht befinden, sich sechs Aufzüge, die zum eigentlichen Tunnel hinab- resp. von ihm hinaufführen und sowohl zur Beförderung von Personen wie von leichten und schweren Wagen dienen. Außerdem ist für vorkommende Fälle noch eine große Treppenanlage dort eingebaut. Der Tunnel daselbst besteht, wie auch Abb. 2 zeigt, aus zwei nebeneinander liegenden Durchgängen, von denen jeder nur den Verkehr nach einer Richtung hin aufnimmt und eine Fahrbahn von 1,82 m Breite erhalten hat, an die sich an beiden Seiten 1,25 m breite Wege für Fußgänger anschließen. Die Oberkante des Tunnels, der von der Mitte nach den beiden Schächten hin um 1,50 m mit einer Steigung von 1: 100 ansteigt, liegt 6 m unter der Sohle der Elbe und seine Unterkante 12 m unter derselben. Eine Bodenschicht von 3 m über dem Tunnel genügt schon, um ihn gegen Beschädigung durch möglicherweise sinkende Schiffe zu schützen, so daß also noch eine etwaige Austiefung der Elbe um 3 m möglich ist, was dann – 13m unter Hochwasserstand bedeutet.
Durch das liebenswüdige Entgegenkommen des Baumeisters O.Stockhausen, dem Bauleiter dieses Unternehmens, das neben der Forderung höchster Fachkenntnis und Umsicht auch besonders schwere Verantwortung für das Leben der Arbeiter mit sich brachte, sind wir in der Lage den Lesern mehrere architektonisch und technisch interessante Abbildungen zu bringen.
Abb. 3 gibt ein Bild von den Bauarbeiten am Fahrstuhlschacht in Steinwärder, die infolge der ungünstigen Bodenverhältnisse bedeutend schwieriger waren als die Herstellung des Schachtes in St. Pauli.
In Steinwärder war Senkkastengründung erforderlich. Die Wandung des Schachtes (a) mit Blechmantel und Eiseneinlage die zum leichteren Einsinken am unteren Ende mit einer Schneide (b) versehen waren, wurden, je nachdem sie Stückweise in das Erdreich einsanken, nach oben weitergemauert. Der eigentliche Senkkasten (Taucherglocke) wurde durch Wandungen und eine 10m über der Schneide eingeführte kräftige Eisendecke (c) gebildet, auf die ein Sandballast drückte, um das Einsinken zu beschleunigen. Das ansteigende Grundwasser wurde durch in den Senkkasten gedrückte Preßluft zurückgehalten, während eine ZahI von Luftschleusen, nämlich eine Personenschleuse (g) und zwei Güterschleusen (h) das Entweichen von Druckluft aus dem Arbeitsraum verhinderten. Die elektrischen Winden förderten die ausgegrabene Erde innerhalb der Schleusenröhren fort und führten auch sie erforderlichen Baumaterialien zu. Bestand der ausgegrabene Boden aus reinem Sand, so wurde das in der Mitte der Abbildung dargestellte eiserne Ausblasrohr (k) benutzt, indem um das Ende desselben herum ein Berg Sand aufgeschüttet wurde, der durch die aus dem Rohre ausströmende Pressluft mit emporgerissen, oben aufgefangen und weggefahren wurde.
Diese Arbeiten wurden fortgesetzt, bis die Unterkante der Schneide 28m tief unter Erdboden gesenkt war, dann erst konnte das abschliessende Sohlengewölbe des Schachts ausgeführt werden. Außerordentliche Mühe und Sorgfalt erforderte die möglichst senkrechte Absenkung der Schachtumrahmung, was bis auf eine geringe Abweichung von nur wenigen Millimetern glücklich gelungen ist. Die Obere Abdeckung der Fahrschächte erfogte in Form einer gewaltigen Kuppel, wie auch Abb. 1 an derTunnel- und Zufahrtshalle Steinwärder zeigt und in ähnlicher Silhouette baut sich auch die Halle in St.Pauli auf.
Der schwierigste Teil der Bauausführung war natürlich der Tunnelbau unter der Elbe, der zugleich auch viele Gefahren für die Ingenieure und Arbeiter mit sich brachte. Der Tunnel, für dessen zwei Durchgänge auch zwei Durchbrüche unter der Fußsohle erforderlich waren, erstreckt sich in einer Länge von 426,5 m zwischen den bereits erwähnten beiden großen Fahrschächten in St.Pauli und Steinwärder.
Die Abb. 6 gibt ein interessantes Bild von den Arbeiten unter der Elbe. Die Tunnelröhren bestehen aus einzelnen dichten, 25 cm langen Ringen aus gewalztem Schmiedeeisen, die miteinander Vernietet und später innen mit Beton ausgekleidet wurden. Der Stück weise Vortrieb der Tunnelröhren erfolgte durch einen Vortriebschild (a) (vgl. Abb. 5& 6): Er ist ein zylindrischer Mantel mit mehreren Querwänden, die durch luft- und wasserdicht verschließbare Türen durchbrochen werden. Das Schildmaul (d) enthält die Arbeitszellen, von denen aus der vorgelagerte Boden vorweggenommen und durch die Türen nach hinten geworfen wird, während sich am Schildschwanz (e) die gewaltigen hydraulischen Pressen befinden, die den ganzen Vortriebsschild mit einer Kraft non 2000t vorwärts schieben. Der Vorgang ist also der, daß, sobald die Arbeiter von ihren Zellen aus eine Strecke von 50 cm freigelegt haben, sich die hydraulischen Pressen gegen das zurückliegende, bereits fertiggestellte Stück Tunnel stemmen und den Vortriebsschild um 50 cm vorwärts schieben, wobei der Mantel des Schildschwanzes noch immer über das fertige Tunnelstück hinüberreicht, damit die Preßluft nicht entweichen kann. Auf diese Weise geht es in mühseliger Arbeit stückweise vorwärts. Damit nun die hydraulischen Pressen sich nach rückwärts, wie gesagt, stemmen können, ohne daß die vorwärtstreibende Preßluft entweicht, ist im vollendeten Tunnelteil zwischen die nach oben und unten abschließende Betonwand eine zweietagige Luftschleuse eingebaut, und zwar dient die obere(i) zur Durchschleusung der Ingenieure und Arbeiter, die untere (k) zur abschließenden Hindurchführung des Arbeitsmaterials und der abgeräumten Erdmassen.
Da ist natürlich klar, daß ein zu langer Aufenthalt in dem ganzen Teil vor der Luftschleuse infolge der vorhandenen Preßluft sehr gesundheitswidrig (Gliederschmerzen, Lähmungen, Bewußtlosigkeit) war, so daß hier eine besonders strenge Kontrolle unter Assistenz eines stets anwesenden Arztes erfolgen mußte. Anderseits schloß auch das Ausströmen der Preßluft aus dem Schildmaul in die vorgelagerten Bodenmassen, durch welche sie hindurchdrang und, emporsteigend, im Wasser eine kräftig brodelnde Blasenstelle hervorrief, die Gefahr in sich, einen Riß der darüberliegenden Fußsohle und damit einen Wasserdurchbruch zu bewirken. Eine derartige Katastrophe trat tatsächlich im Juni 1909 ein, doch konnten sich mittels der wasserdichten Türen die Arbeiter retten. Die Weiterarbeit war jedoch erst wieder möglich, nachdem das Loch in der Flußsohle nach einmonatlichen Anstrengungen wieder zugefüllt war. Auch gegen Feuersgefahr mußte größte Vorsicht walten, denn, wie erklärlich,mußte jedes noch do kleine Feuer durch die vorhandene Preßluft sofort sehr grobe Dimensionen annehmen. Nachdem auf diese langwierige Weise der Durchbruch für beide Tunneldurchgänge erreicht wurde das innere Tunnelprofil durch Ausmauerung der einzelnen Ringe hergestellt und die Tunnelsohle noch besonders mit schwerwiegendem Granitbeton und Eisen beschwert, weil der Tunnel sonst weniger als das von ihm verdrängte Wasser gewogen hätte und dann leicht das Bestreben des Iangsamen Auftreibens im feuchten Boden eingetreten wäre.
Die künstlerische Ausstattung war den Architekten Raabe &Möhlecke, Altona, übertragen, die im engsten Zusammenarbeiten mit dem Hamburger Strom- und Wasserbauamt den rein technischen Bau mit kunstvoller Architektur schmückten. Die Zufahrtshalle in Steinwärder ist im Äußeren in Werkstein (Abb.4), die in Stein-
wärder (Abb 1.) aus Backstein in Einheitlichkeit zu den sie umgebenden Zollgebäuden errichtet. Die architektonische Form entspricht durchaus der Zweckbestimmung der Baulichkeiten, indem sie gewaltige
Kuppelbekrönung der natürliche obere Abchluß der runden Fahrschächte ist und die langgezogenen, hohen Fensteröffnungen die notwendige, reichliche Lichtfülle für den Fahrstuhlverkehr spenden.
Die Einfahrtstore öffnen sich, besonders bei der Zufahrtshalle in Steinwärder, weit, was durch die langgestreckten Giebelabdeckungen charakterisiert worden ist. Die inneren Schachtwände sind mit goldgelben Majolikaplatten ausgelegt wodurch dem tiefgebenden Raume die Düsterheit genommen wird. Ferner sind dort als besonderer dekorativer Schmuck verschiedene figürliche und, ornamentale Majolika- Reliefs eingefügt. Die Tunnelwände sind mit glasierten Kacheln verkleidet und an ihnen eine reiche Zahl von künstlerisch ausgestalteten BeIeuchtungskörpern angebracht kurz, Technik und Kunst wirken gemeinsam zum Stolze Hamburgs und schufen ein hervorragendes Werk der Ingenieurbaukunst und Architektur.